Internetseite der Familie Reutlinger in Überlingen am Bodensee. Anusch's Pub und Männer-Kaffee
 


Anusch's Pub - Ecke Schulstraße

Anusch's Pub - www.reutlinger.org

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Artikel: Südkurier, Martin Baur, 2.12.10
Quelle

Die Wirtin mit dem großen Herz

Die Überlinger Wirtin Anna Reutlinger,
Gastronomin der Kultkneipe „Anusch's Pub“ starb mit 75 Jahren.
 

Fröhlich, humorvoll und mit Verständnis für jeden – so kannte man Wirtin Anusch. Hier in der Fastnacht, irgendwann Anfang der 1990er. Links Wilma, die damals hinterm Tresen aushalf und sich als Büttenrednerin präsentierte. Heute ist „Anusch's Pub“ auch durch den „Närrischen Männerkaffee“ bekannt, den ihr Sohn Michael dort vor einigen Jahren etablierte.

Eine Kneipe. „Anusch's Pub“. Eine Überlinger Eckkneipe. Klein, niedrig und Vorhänge,
die den Einblick von außen schwer machen, wenn drinnen der Bär tobt. Das Lokal, vor dem uns unsere Eltern gewarnt haben. Damals, Ende der 1970er Jahre. Heute, 31 Jahre später,
geht es da am Wochenende noch immer total ab. Mit dabei die Töchter und Söhne
der ganz jungen Stammgäste von damals.

Das Jahr 1979. „We dont't need no education“: Wir brauchen keine Erziehung. Pink Floyds Hymne aus „The Wall“. Morgens, nachdem die Mutter ihre Nase in die Klamotten vom Vortag gesteckt hatte, stellte sie nur streng fest: „Ihr seid in der Bierklause gewesen“. Ja, das waren wir.

„Hunck's Bierklause“. So hieß die kleine Eckkneipe in der Hafenstraße, als die Anusch sie 1979 übernahm. Weil die attraktive blonde Frau Reutlinger, die keiner so nannte, weil sie eben die Anusch war, auch so gar nichts mit dem rübezahlbärigen Glatzkopf Hunck am Hut hatte, nannte sie ihre Kneipe erst mal Bierklause. Ohne Hunck. An irgendeinem Abend drei Jahre später leuchtete plötzlich ein grüner Neonschriftzug im Fenster: „Anusch's Pub“.

Sohn Micha, damals gerade 18, hatte die Idee zur Leuchtreklame gehabt. Weil im Lokal jeden Abend Darts gespielt wurde. Richtiges Darts. Auf die Sisalborstenscheibe mit Wurfpfeilen aus Wolfram-Nickel-Legierung. Selbst aus England importiert. Denn Darts, den Präzisionssport am Tresen, kannte man damals nur von der britischen Insel. So läge „Pub“ als Name nahe, meinte Micha. Also Anusch's Pub. Tatsächlich war sie sofort der Ankerpunkt für alle Gäste. Uli, der Mann ihres Lebens, den sie mit gerade 20 geheiratet hatte, half zwar mit. Aber es drehte sich doch alles um sie. Uli blieb im Hintergrund und sorgte für die Musik. Mainstream gab's nur bei vollem Lokal. Lieber legte er Jazz auf. Django Reinhard oder Häns'che Weiss. Bireli Lagrene, den Elsässer Sinto, hörte man hier lange, bevor Biolek ihn bekannt machte. Zigeunerjazz. Wenn dann ein Gast seinen Musikgeschmack anzweifelte, war der Uli schon mal unwirsch. Und Anusch besänftigte.

Kennengelernt hatten sich die Anusch, die im Krieg aus dem Sudetenland geflüchtet war, und ihr künstlerisch hoch begabter Mann in Stuttgart. Seine Karriere führte sie ins Elsaß, nach Muhlhouse. Als Grafiker arbeitete er unter anderem für Dargaud („Asterix“) in Paris. Als er Ende der 1950-er Jahre für Disney nach Südamerika sollte, war Anusch gerade mit Petra schwanger, ihrer zweiten Tochter, und sagte Nein. Die Familie zog nach Südfrankreich und schließlich nach Korsika. Uli wollte unter der Mittelmeersonne Freiberufler sein. Gleichzeitig betrieben sie einen Campingplatz. 1974 drängte es sie zurück nach Deutschland und Anusch in die Gastronomie. Professionelle Gastlichkeit war für sie Kindheitserinnerung. Zum elterlichen Bauernhof hatte eine Gastwirtschaft gehört.

Die älteste Tochter, Tina, geboren 1953 und längst mit einem Korsen verheiratet, blieb auf der Insel. Auch die jüngere Petra, Jahrgang 1955 wollte in Frankreich bleiben. Nur der erst zehnjährige Micha kam mit und machte später das Abitur an der französischen Schule in Friedrichshafen.

Anusch arbeitete im „Faulen Pelz“, später im „Zoller-Quick“ gegenüber dem Kaufhaus „Morath“. Als die Reutlingers 1979 dann die Bierklause pachteten, sollte es nur für fünf Jahre sein.

Es wurde ein Leben. Mit der gut gehenden Kneipe an der Ecke der Hafen- mit der Schulstraße, das Haus kauften die Reutlingers auch irgendwann, sicherte Anusch die Existenz der Familie. Und der Raum mit der Theke in der Mitte, an der man von allen vier Seiten sitzen oder stehen kann, wurde tatsächlich zum „Pub“, wie man ihn aus England kennt. Hier strich sich der Ingenieur die Krawatte glatt, während dem Zimmermann neben ihm ein paar Hobelspäne aus den Haaren fielen.

Ein Gymnasiast mit Liebeskummer? Anusch tröstet. Ein selbstständiger Handwerksmeister mit leerem Auftragsbuch? Anusch baut auf. Ein Lehrer, der seine aufmüpfige Klasse verflucht? Ganz nebenbei gibt es von Anusch Lebensweisheiten über Toleranz und Gelassenheit. Immer mit ihrem unverwüstlichen, feinsinnigen Humor gewürzt. Für sie zählt nur die Person, die sie im Augenblick gegenüber hat. Mit Herkunft, dicker Börse oder Titel kann man ihr nicht imponieren.

Die Wirtin aus dem Bilderbuch wird getragen von ihrer Liebe zu den Menschen: Als einmal einer, der zwei Halbe getrunken hatte, durch das kleine Toilettenfenster abhaut und ein Fetzen seiner Jeans am Rahmen zurückbleibt, da hat Anusch nur eine Sorge: „Jetzt hat sich der arme Kerl die teure Hose zerrissen, hätte er doch was gesagt, ich hätte ihm die zwei Bier doch geschenkt.“

Bei Anusch war jeder willkommen. Fast jeder. Als die rechtsradikale Szene in den 1990-ern versuchte, sich geschlossen im Lokal häuslich einzurichten, hing bald ein Plakat an der Wand, das ihr bestimmt sagte, sie sei hier nicht erwünscht und solle woanders hin.

2003 zog sich Anusch ganz vom Tresen zurück. Eine Lungenkrankheit machte ihr Monate lang zu schaffen, doch sie rappelte sich mit der ihr eigenen Energie wieder hoch. Uli starb, kurz bevor die beiden am 2. August 2005 hätten Goldene Hochzeit feiern können.

Seit Sohn Micha den Pub macht, unterstützt von Schwester Petra, ist das Publikum jünger geworden. Vielleicht empfinden das aber auch nur die Älteren so, die früher die Jungen waren und immer noch kommen. Dass „Anusch's“ nach über 30 Jahren immer noch funktioniert, dafür sorgte sie selbst im Hintergrund weiter mit. Kümmert sich um Buchhaltung und Bestellungen. Sie blieb ein Arbeitstier bis zuletzt. Trotz der angeschlagenen Gesundheit. Das Ende kam dennoch plötzlich.
Als am vorvergangenen Wochenende unten wieder mal die übliche Samstagsstimmung war,
da schlief sie oben in der Wohnung ein. Ganz tief. Gestorben ist sie dann in derselben Nacht vom 20. auf den 21. November im Krankenhaus, wohin der Notarzt sie noch hatte bringen lassen. Vorbei an den Fenstern ihrer Kneipe. Im Fenster flackerte ein grüner Schriftzug: „Anusch's Pub“.
Er wird weiterleuchten.

„Anusch bleibt unvergessen, solange es Menschen gibt, die sie kannten“, sagt ein alter Stammgast. „Denn man lernt im Leben nur wenige Menschen mit einem so großen Herz kennen – mit ihr stirbt auch ein Stück der eigenen Vergangenheit und Jugend.“

Artikel: Südkurier, Martin Baur, 2.12.10
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Letzte Aktualisierung dieser Seite: 24.07.20

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